Abenteuer: Meerschweincheneinfangaktion

Wenn ich zu Hause bin, sitze ich zum Schulschluß gerne am Fenster und gucke, wie Töchterchen mit ihren Freundinnen in den Hort geht. Meist sehe ich dann einfach nur, wie die Kinder nacheinander nach Hause eilen oder trödeln. Lachen, sich streiten oder was auch immer. Heute gab es aber Action pur. Im optimalen Blickfeld für mich.

Die Mädels kommen zu viert den Weg hoch. Ein Junge mit einer kleinen Tiertransportbox kommt ihnen entgegen. Sie treffen aufeinander. Der Junge greift an die Tür der Transportbox.„Der wird doch jetzt nicht…“, denke ich. Doch. Er wird. Und schneller als die Kinder gucken und reagieren können, erkennt das Meerschweinchen seine Chance, springt aus der Box und flüchtet. Zum Glück nicht auf die Straße sondern unter dem Tor durch in den Hof des nächsten Hauses. Aufgeregtes Gekreische, hilflose Blicke. Was tun? Können sie einfach so auf den fremden Hof, der noch dazu eingezäunt ist? Tochter ergreift die Initiative. Ranzen vom Rücken, auf den Fußweg fallen lassen. Entschlossen macht sie die Tür auf. Schließlich kennt sie die Nachbarn gut und außerdem war ja eindeutig Gefahr im Verzug.


Zwei Kinder trauen sich rein. Entdecken das Meerschweinchen unter dem parkenden Auto. Kommen selbst nicht darunter. Die anderen Kinder kommen nach. Sie kreischen so, dass ich fürchte, das arme Meerschweinchen könnte einem Herzinfarkt erliegen. Kurz überlege ich, mich einzumischen. Verwerfe den Gedanken grippebedingt aber schnell wieder. Dafür reicht die Luft nicht. Die Kids rennen wie aufgescheuchte Hühner um das Auto herum. Der Junge entdeckt einen Besen, versucht damit das Tier unter dem Auto herauszuscheuchen. Eine Nachbarin kommt vorbei, spricht kurz mit den Kindern. Da rennt das Meerschweinchen unter dem Auto raus. Auf den Fußweg. Mindestens drei Kinder stürzen sich auf es. Aber es ist schneller und geschickter und versteckt sich unter dem nächsten, am Straßenrand geparkten Auto. Nun wird mir mulmig. Zum einen fürchte ich, das Puscheltier könnte zum falschen Zeitpunkt auf der falschen Seite unter dem Auto hervorkommen und überfahren werden. Ähnliche Sorgen mache ich mir aber auch um die Kinder, die immer noch kreischend und sich gegenseitig Taktiken zurufend herumwuseln. Zum Glück ist die Straße eher wenig befahren.

Irgendwo haben die Kinder etwas Eßbares gefunden und wedeln damit unter dem Auto herum. Das Meerschweinchen wagt eine weitere Flucht. Wird dabei fast von Töchterchen erwischt. Aber nur fast. Von oben sah es für einen kurzen Moment so aus, als hätte sie es. Das Tier flitzt in den nächsten Hof. Die Kinder haben mittlerweile ihre Scheu vor fremden Grundstücken verloren und rennen hinterher. Damit entzieht sich die Szenerie meinem Blickfeld. Ich greife zum Telefon und informiere den Hort, dass die Mädchen derzeit mit Meerschweinchen einfangen beschäftigt sind und wohl noch eine Weile brauchen. Die Nachbarin geht wieder vorbei. Tochter flitzt den Berg runter. Aber nur sie. Was tut sie?

Eine Weile später kommen zwei weitere Mädchen aus dem Hort hinzu. Auf Hausschuhen. Nach meiner Nachricht hatten sie es wohl eilig dabei zu sein. Sie rennen zurück. Kommen wieder. Mit noch mehr Hortkindern und zwei Erzieherinnen im Schlepptau. Alle verschwinden im Hof.  Für mich wird es langweilig. Ich sehe nichts mehr und es ist auch deutlich ruhiger geworden. Ich hoffe inständig, dass die Kinder das Meerschweinchen wieder einfangen können. Schließlich kommen weitere Kinder von der Schule nach Hause. Eine komplette Schulstunde hat die Jagd also mittlerweile verschlungen. Dann machen sich alle Hortmädchen mit ihren Erzieherinnen auf den Rückweg. Die Art, wie sie die Köpfe hängen lassen und sich aneinander hängen, spricht Bände. Sie haben das Meerschweinchen nicht einfangen können.

Als ich Töchterchen heute Abend bei ihrer Freundin abhole, erfahre ich weitere Details. Das Wichtigste: Der Junge konnte sein Meerschweinchen schließlich doch noch einfangen und ist dann in den Hort gekommen, um ihnen das noch zu erzählen. Und: Das war vielleicht ein Abenteuer! Ihr allererstes Abenteuer! Sie wollten schon immer mal ein Abenteuer erleben, aber dass das so abenteuerlich wird, dass hätten sie nie erwartet!
Ja, so eine Meerschweincheneinfangaktion ist eben für Kinder ein echtes Abenteuer. So richtig tolles Kinderleben. Hach! Wenn es am Ende dann erfolgreich ist zumindest…

Töchterchen lief übrigens den Berg runter, um bei der Bäckerei zu fragen, ob sie wissen, wer in dem Haus nebenan wohnt, ob die vielleicht helfen können. Womit sie mehr als nur über sich hinausgewachsen ist. Für den guten Zweck hat sie noch einige Hort-Regeln überschritten. Nicht direkt zum Hort gegangen. In der Bäckerei gewesen. Vor lauter Aufregung hatten sie eigentlich komplett vergessen, dass sie erwartet werden und dass man sich Gedanken machen könnte. Großartig.