Eher per Zufall hielt „Eine Tüte grüner Wind“ von Gesine Schulz bei uns Einzug. Das Buch aus dem Carlsen Verlag gehört nicht zu den prominent ausgestellten Büchern in Buchhandlungen. Töchterchen zog es dann kürzlich aus dem Regal, damit ich es vorlese. Ja, auch wenn sie mittlerweile Bücher teilweise nur so verschlingt und das Licht abends… Vorgelesen wird weiterhin. Die Geschichte erzählt von Lucy, die eigentlich in den Sommerferien mit ihrer Mutter in die USA fliegen sollte, doch dann hat die Mutter kurzfristig besseres zu tun (mit ihrem Freund verreisen) und so wird Lucy zu ihrer ihr unbekannten Tante Paula nach Irland abgeschoben. Auch ihr Vater und seine neue Familie wollen sie nicht mit nach Südfrankreich nehmen. All das liegt keineswegs an Lucy, falls das jetzt jemand vermuten sollte. Lucy muss fünf Wochen nach Irland, dahin wo alle Leute rote Haare haben, es ständig regnet und dann noch zu ihrer Tante, die offensichtlich sehr bescheiden lebt – ganz im Gegensatz zu Lucys Mutter. Vom Inhalt sei so viel verraten, dass diese Ferien natürlich ganz anders verlaufen, als die mit Vorurteilen ausgestattete Lucy es vermutet hätte.
Wer jetzt widerum vermutet, Lucy würde in dem Land, in welchem es so viele unterschiedliche Grüntöne, gar nicht so viele Leute mit roten Haaren und auch keineswegs nur Regen gibt, nun ein spannendes Abenteuer erleben, der irrt. Nein, „Eine Tüte grüner Wind“ fällt aus dem mittlerweile üblichen Rahmen von Kinder-/ Jugendbüchern, in denen es entweder um Spannung, Action, Fantasy oder sonst etwas in der Art geht. Es ist einfach „nur“ eine Geschichte. Was Gesine Schulz Buch zu etwas Besonderem macht, ist die Art. Die Handlung ist völlig unaufdringlich. Ein stilles, leises Buch. Eine sensibel erzählte Geschichte, in der es übrigens keine Kapitel gibt. 176 Seiten, in der ohne erhobenen Zeigefinger dargestellt wird, dass keineswegs nur das Äußerliche, nur der materielle Wert zählt.
Beim Lesen haben wir beide an vielen Stellen über Lucys Mutter geschimpft, die wirklich für uns nur bedingt liebevoll rüberkommt, auch, wenn es so gar nicht klar dargestellt wird. Es ist mehr das Teilen von Lucys Empfindungen, welche sehr sanft beschrieben werden. Sie liebt ihre Mutter und ihre Mutter liebt sie, nur – nun ja. Es gibt einiges am Verhalten der Mutter, die es scheinbar gut versteht, ihrer Tochter unfair ein schlechtes Gewissen zu machen, was bei uns nicht wirklich gut ankam. Tante Paula, die Schwester von Lucys Mutter ist hingegen ganz anders. Hier erfährt Lucy Verständnis in jeder Hinsicht. Die Charaktere, auch die weiteren Kinder, die Lucy in Irland trifft, sind klar dargestellt, aber alles ohne es in dem Sinne in Worte zu fassen. Auch die Empfindungen – Gesine Schulz langen kleine Szenen, um Gefühle im Leser zu wecken, sie gibt viel Raum sich ganz automatisch in die Personen einzufühlen, wobei es bei Lucys Freund in der Familie zum Beispiel auch um Gewalt geht. Die warmherzige Darstellung läßt Freiraum. Ganz nebenbei bekommt der Leser eine Vorstellung der irischen Landschaft, die Neugier auf das Land ist geweckt.
Fazit
„Eine Tüte grüner Wind“ hat uns auf eine ganz eigene Weise in seinen Bann gezogen. Nicht laut, nicht aufdringlich, nicht spannend, keine Action. Ein ganz stilles Buch, mit einer Geschichte, wie sie im Alltag überall stattfinden kann. Es geht „nur“ um Menschen, um ihren Umgang miteinander, um Zuneigung, Wärme, aber auch um negative Beziehungen und schlechte Erfahrungen. Alles leise erzählt und so wirkt es wohl um so nachhaltiger. Ein seltenes kleines Buch, bei dem man sich tatsächlich fragt, wodurch es so zu berühren vermag. Vermutlich wirklich deswegen, weil es so leise erzählt wird und durch den Stil der Worte.
Gesine Schulz
Eine Tüte grüner Wind
Carlsen Verlag
176 Seiten, 6,99 €
ISBN: 978-3551362520