Miranda Lux

Gelesen: Miranda Lux – Denken heißt zweifeln…

Cover Miranda Lux…oder warum jede Geschichte zwei Seiten hat. Der Titel des Buches von Oliver Schlick folgt zumindest schon mal dem Trend zur Überlänge. Ansonsten ist das Buch jedoch keinem Massentrend zuzuordnen. In keiner Hinsicht. Es ist eigen. In nahezu jeder Hinsicht. Aufgefallen war es uns das erste Mal – wie sollte es anders sein – auf der Frankfurter Buchmesse, 2016. Ein dickes Buch, 380 Seiten hat es in der Hardcoverausgabe. Schon beim kurzen Reinlesen auf der Buchmesse fiel uns der eigene Schreibstil von Oliver Schlick auf. Ob dieser zu uns paßt, löste bei uns zunächst gewisse Zweifel aus. Dass auch ein Reiz davon ausgeht, war jedoch klar. Irgendwann stand „Miranda Lux“ somit in Töchterchens Regal und wurde schließlich zum Vorlesebuch ernannt.

Um was geht es? Um Miranda. Ihren Lehrer Victor Carelius. Um Verschwörungen. Aber vor allem geht es ums Zweifeln. Wie der Titel es schon ankündigt. Das entwickelt sich zunächst relativ „harmlos“ und fast noch alltäglich.

Mirandas Eltern sind bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen, sie jedoch bezweifelt, dass sie wirklich tot sind. Nach und nach stellt sich heraus, dass ihre Eltern reiche, berühmte Autoren und Experten in Sachen Verschwörungstheorien waren, in dem Sinne, dass sie selber einer auf der Spur waren. Einer sehr großen. Sie gründeten auch das Zweifelwerk, dessen Mitglied die 15jährige Miranda ist. Ihren Lehrer zieht sie gnadenlos da mit hinein, weil sie eigentlich einen Fahrer braucht und er ihr und den anderen Mitgliedern des Zweifelwerks als geeigneter Kandidat zum Zweifeln erscheint. Dafür konstruiert sie zunächst einige schräge Begebenheiten und Umstände, die den armen Viktor überfordert und hilflos ergeben dastehen lassen.

Die Geschichte wird abwechselnd aus zwei Perspektiven erzählt. Aus der von Miranda und aus der von Viktor. Beide Perspektiven schließen fortlaufend aneinander an, es werden keine Szenen doppelt erzählt. Zum Lesen braucht es eine gewisse Portion Toleranz gegenüber diversen Verschwörungstheorien. Oliver Schlick läßt seine Geschichte in der realen aktuellen Zeit stattfinden, nimmt Bezüge zu bekannten Verschwörungsgeschichten wie zum Beispiel Roswell, baut darauf und darum ganz eigene Möglichkeiten auf. Das Buch wird im Laufe der Seiten immer skurriler und abgefahrener. Gleich zu Beginn wird klar, dass alle Protagonisten in irgendeiner Form ein wenig – nun ja – seltsam sind. Miranda, die mit ihren 15 Jahren schon sehr zielstrebig ihr Ziel verfolgt und dabei nicht gerade der allgemeinen Schubladen-Norm entspricht. Sie hat zweifellos einen starken Charakter und ist sehr gut darin, schräge Geschichten zu erfinden und Entscheidungen zu treffen. Viktor Carelius, ihr Lehrer, der in seiner Unbeholfenheit manchmal schon nervig ist, aber eine erstaunliche Entwicklung durchmacht. Mir persönlich läßt er sich etwas zu schnell auf das alles ein. Er wirft mir seine Zweifel über Miranda und das, was sie mit ihm anstellt, sehr zügig über Bord, ein gewisser Widerspruch für jemanden, der doch Neu-Mitglied im Zweifelwerk wird, wenn er alles sofort mitmacht. Gut, zunächst ist er völlig überrumpelt und sieht keinen Ausweg aus der Situation, in die Miranda ihn drängt. Miranda lebt bei ihrer Seifenoper-süchtigen Tante Trudi, oder besser, die beiden leben in dem außergewöhnlichen Haus von Mirandas Eltern. Die herzensgute Tante Trudi ist etwas einfacher gestrickt und hat keine Ahnung von der Existenz des Zweifelwerks, was zu „interessanten“ Verwicklungen im Hause Lux führt. Dann sind da noch die weiteren Mitglieder des Zweifelwerkes, die ich hier nicht näher verraten möchte, sonst nehme ich dem Buch etwas vorweg. Nur soviel: Wie die in der normalen Gesellschaft klarkommen – auch das läßt gewisse Zweifel zu. Wobei sie zum Teil ihr Leben auch nur bedingt in der Gesellschaft führen. Weitere Rollen spielen Viktors Alt-Punk-Nachbar Frizzi, sowie Mirandas Mitschüler, der eindeutig noch der durchschnittlichste aller Protagonisten ist. Max, der Bibliothekar lebt noch bei seiner Mutti, stottert und der Mutigste ist er auch nicht gerade. Mirandas deutlich ältere Schwester Indigo, auch sie kommt immer wieder zur Sprache, obwohl sie nach dem Tod der Eltern spurlos verschwunden ist. Hinter ihr verbirgt sich ein weiteres großes Geheimnis.

Auch die Handlungsorte sind eher ungewöhnlich. Die Stadt Hammerstein, in der Miranda und ihre Mitstreiter leben. Voller Tunnel, soviel wird schnell klar. Warum Mirandas Eltern ausgerechnet Hammerstein als Wohnort wählten, wird Stück für Stück klarer. Immer wieder ist auch das Eiscafé des waschechten Pseudo-Italieners Scardanelli, welches sich abends in ein exquisites Restaurant verwandelt, Schauplatz der Ereignisse. Das Anwesen von Mirandas Eltern ist nicht nur gigantisch groß, sondern auch gigantisch – anders. Ein weiterer außergewöhnlicher Handlungsort ist der Wohnort zweier anderer Zweifelwerker, Vater und Tochter.

„Miranda Lux – Denken heißt Zweifeln oder warum jede Geschichte zwei Seiten hat“ hat uns beim Vorlesen sehr schnell in den Bann der Geschichte gezogen. Die Entwicklung vom normal wirkenden Alltag, der tatsächlich in der Gegenwart spielt, hin zur immer skurrileren und irrwitzigeren ausgedachten Wirklichkeit geht zunächst schleichend und dann rasant. Bis die Geschichte schließlich total abgehoben ist und auch nicht mehr „nur“ mit Zweifeln zu Verschwörungstheorien lesbar ist. Oliver Schlick geht darüber hinaus, bis er letztlich so etwas wie eine Parallelwelt erschaffen hat. Die aber immer noch in dieser Welt spielt. Viktor Carelius (Herr Krakelius, wie Tante Trudi ihn immer nennt) ist dabei quasi das Äquivalent zum Leser. Die Erzählstränge aus seiner Sicht lassen den Leser all die seltsamen Dinge parallel mit ihm entdecken. Die Einzelheiten über Miranda, ihre Eltern, das Zweifelwerk usw.
Eigentlich geht es in dem Roman um das Rätsel, warum Mirandas Eltern mit dem Hubschrauber abstürzten, um die große Verschwörung, die sie, die prominenten Autoren, mit ihrem nächsten Buch aufdecken wollten. Dabei spielen siebzehn Zeilen aus einem Werk mit Ledereinband und der Begriff „Ajax“ die zentrale Rolle. Es geht um Aliens, immer wieder gesichetete UFOs, um die Unterwanderung unserer Gesellschaft, um Verrat, um Gefahr, um Morde und vermeintliche Selbstmorde und und und. Skurril, einfach skurril.

Am Anfang kann man das Buch kaum aus der Hand legen. Die Selbstverständlichkeit, in der Oliver Schlick all diese abgefahrenen Ideen in die Geschichte schreibt, ist beeindruckend. Wie er eine Welt in der Welt entwickelt und nebenbei noch einige wirklich gute Weisheiten mit verpackt, die zum Nachdenken anregen. Nicht unbedingt zum Glauben an Verschwörungstheorien, aber doch eben zum Wert des Zweifelns auch im Alltag. Die Personen sind in ihrer teilweise gnadenlosen Überzeichnung schon wieder liebenswert, man kommt gar nicht drum herum, ihre Entwicklung interessiert zu verfolgen. Bei allem kommt auch der Humor nicht zu kurz, der lebt vor allem von den Eigenarten der Charaktere und dem, was dabei an komischen Situationen entsteht. Zwischendrin hat die Geschichte auch Längen, da flaut das Bedürfnis weiterzulesen ein wenig ab. Was nicht unbedingt schlecht ist, man hat ja auch noch anderes zu tun, so im Laufe eines Tages. Dann nimmt die Geschichte aber wieder Fahrt auf, was bei uns zu etwas ausgedehnteren Vorleseabenden führte, wollten wir doch wissen, was nun hinter Ajax steckt. Das Ende… Es hat Cliffhanger-Potential.

Mir gefiel der fortwährende Perspektivwechsel zwischen Miranda und Viktor. Ein geschickt gewähltes Mittel, um Stück für Stück die Hintergründe der aktuellen Ereignisse und die Geschichte hinter Miranda aufzuklären. Auch zum Vorlesen war das sehr angenehm, die beiden Erzähler, stets in der ich-Form, unterscheiden sich so voneinander, dass ich  tatsächlich auch beim Vorlesen in zwei verschiedene Stile verfiel. Etwas anstrengend waren die langen Strecken ohne Absätze, was es vor allem erschwerte, eine Pause einlegen zu können, manchmal war es einfach zu dicht aneinander erzählt. Eher selten ist auch die lockere, direkte, teilweise flappsige Sprache, in der der Autor erzählt, die so direkt aus dem heutigen Sprachgebrauch kommt.

Fazit

Oliver Schlick schafft es mit Miranda Lux eine ziemlich schräge, skurrile Welt zu erschreiben. Diese ist in sich schlüssig, die Charaktere sind alle außergewöhnlich, sehr verschieden, woraus sich immer wieder eine herrliche Situationskomik ergibt. Wir hatten Spaß beim Lesen, manches Mal mußte ich mich jedoch überwinden, der Abgedrehtheit der Verschwörungstheorien zu folgen. Was sicher auch daran liegt, dass der Roman grundsätzlich im „Hier und Jetzt“ angesiedelt ist und nicht so offensichtlich als Fantasywelt daher kommt. Wer bereit ist, sich auf diesen Spagat einzulassen, der sollte mal einen Blick in dieses im Ueberreuter Verlag erschienene Buch werfen und ernsthaft über den Kauf nachdenken. Es ist teilweise so abgedreht, und dabei doch so „echt“, dass es schon schwer ist, es zu beschreiben. Ganz nebenbei gibt es auch das eine oder andere zum Nachdenken. Ich mag es. Irgendwie… Eine Fortsetzung wäre so schlecht nicht. Oliver Schlicks Stil auf jeden Fall reizt genug, um ohne Zweifel über ein weiteres Buch von ihm nachzudenken.

 

 

 

Cover Miranda LuxOliver Schlick
Miranda Lux – Denken heißt Zweifeln oder warum jede Geschichte zwei Seiten hat“
Ueberreuter Verlag

384 Seiten; 16,99 €
ISBN:  978-3-7641-7059-2

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