Immer wieder wurde mir John Greens Jugendroman „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ empfohlen. Es ziehe einen in den Bann, lautete eine der Begründungen. Immer wieder stand ich vor dem Buch und wußte: Ich habe aktuell keine Zeit es zu lesen. Schließlich löste ich das Problem durch ein Hörbuch, denn das kann ich während des Bügelns, Abwaschens etc. „lesen“ und werde so noch gut unterhalten. Über 7 Stunden lang ist die ungekürzte Fassung aus dem Silberfisch Verlag (HörbuchHamburg), gelesen von Birte Schnöink. Eindrucksvoll gelesen, möchte ich sagen. Eindringlich.
Worum geht’s?
Kurz gesagt um zwei verschiedene Dinge im Leben der 16jährigen Aza. Die Verpackung außen rum (in meinem Empfinden) ist sowas wie eine Detektiv-Geschichte. Oder auch ein Sozialroman. Der Millionär Russell Picket verschwindet spurlos, nachdem einige strafrechtliche Machenschaften von ihm ans Licht kommen. Azas beste Freundin Daisy überredet sie, sich auf die Suche zu machen und die hundertausend Dollar Belohnung zu kassieren. Schließlich kennt Aza Davis, Picketts Sohn von früher. Widerstrebend läßt Aza sich darauf ein.
Innerhalb dieser Verpackung spielt die eigentliche Geschichte. Aza und ihre Gedankenspirale, die sie immer wieder zu Zwangshandlungen treibt, durch die sie kaum zu einem „normalen“ Leben fähig ist. Immer wieder redet ihr die Stimme in ihrem Kopf ein, dass sie von Bakterien beherrscht wird, sich überall tödliche Mikroben einfangen kann und noch viel mehr. Verzweifelt versucht Aza sie zum Schweigen zu bringen und sich besser in die Gesellschaft um sich herum integrieren zu können. Natürlich geht es auch um die anderen, Daisy, die Star-Wars-Fanfiction schreibt und Davis, der auch mehr als genug Probleme hat. Für Jungendliche in dem Alter ist die Liebe auch ein Thema, welches Aza durch ihre fiesen Gedanken gründlich vermiest wird.
Der Roman an sich
John Green ist bekannt als Autor authentischer und berührender Jugendromane mitten aus dem Leben der Zielgruppe, mit allem, was diese Lebensphase zu bieten hat. Für mich ist es der erste seiner Romane – und ich war beeindruckt. Der Autor ist unglaublich dicht dran – nein, ich würde eher sagen: drin – an und in seinen Figuren. Einfühlsam beschreibt er, was Aza fühlt, wonach sie sich sehnt, wie sie selbst erkennt, wie krank sie ist, aber trotzdem den Weg raus nicht findet. Ihre innere Zerrissenheit, ihre Schuldgefühle, nichts läßt Greene aus oder versucht, es zu beschönigen um den Leser zu schonen. Das alles in einem Schreibstil, der die Emotionen fühlbar macht, der mich veranlaßt mich innerlich zu winden, so lebendig und nachfühlbar sind seine Worte. Aza selbst ist mir in ihrer Sensibilität schnell ans Herz gewachsen, auch wenn sie oftmals schwierig für andere ist. Aber auch Daisy, Davis und Azas Mutter haben deutliche Charaktere, deren Sorgen und Gedanken – gefiltert durch Azas Wahrnehmung – dem Leser nicht verborgen bleiben können.
Einzig die Rahmenhandlung des verschwundenen Millionärs irritiert mich ein wenig, wirkt sie im Verhältnis zur sonstigen Realität doch ziemlich aufgesetzt.
Mein Hörbuch-Eindruck
Ein Hörbuch steht und fällt mit dem Sprecher/ der Sprecherin. Besonders eines mit diesem so intimen und eindringlichen Inhalt. Ich war skeptisch. Kann Birte Schnöink mir vermitteln, was andere mir über das selbstgelesene Buch erzählten? Sie kann. Voll und ganz. Von Anfang an bringt sie Azas Kampf mit sich selbst einfühlsam zum Ausdruck, liest die Gedanken so, dass man förmlich Azas Qualen fühlt. Die Qualen im doppelten Sinne. Den beängstigenden Inhalt der Gedanken, genauso wie die Qual der Verzweiflung diese Gedanken wider besseren Wissens nicht besiegen zu können. Alles wird angezweifelt, was der Verstand dagegen setzt.
Die Erzählerin wechselt hörbar zwischen Azas innerer Auseinandersetzung, ihren Wünschen und der äußeren Rahmenhandlung, die ebenfalls aus der Perspektive von Aza erzählt wird. Immer wieder durchdrungen von ihrer Gedankenspirale. Birte Schnöink transportiert John Greens intensiven Schreibstil hervorragend zum Hörer. Immer wieder gab es Momente in denen mir kalte Schauer den Rücken rüberliefen, in denen ich mich innerlich wand, ein einfaches „Ja“ vermittelte Azas Hilflosigkeit, dass mir eine Gänsehaut die Arme hochkroch.
Fazit
Ich gebe die Empfehlung für „Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ direkt weiter. Nicht nur für Jugendliche, auch für Erwachsene. Das gilt auch für das Hörbuch. Sehr gut, dass es nicht gekürzt wurde. John Green hat wirklich einen besonders eindringlichen Schreibstil, lebendig, lebensecht und Birte Schnöink gelingt es voll und ganz, den Worten eine Stimme zu geben, ohne dass ihnen die Intensität verloren geht. Vielleicht gibt sie dem Roman sogar noch eine Intimität und Persönlichkeit, die einem beim Lesen an manchen Stellen entgehen kann.
John Green
Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
Hörbuch: Silberfisch-Edition
HörbucHHamburg Verlag
Ungekürzte Lesung mit Birte Schnöink (Facebook-Seite)
ISBN 978-3-86742-397-7
430 Minuten
Gedruckte Ausgabe:
Hanser Verlag
288 Seiten
ISBN 978-3-446-25903-4